Interkultureller Dialog in den Städten des Königlichen Preußen

Interkultureller Dialog in den Städten des Königlichen Preußen

Organizer(s)
Lehrstuhl für Germanistik der Nicolaus Copernicus Universität in Toruń; Historisches Institut der Universität Potsdam; Wissenschaftliche Gesellschaft zu Toruń
Location
Torun
Country
Poland
From - Until
08.10.2009 - 10.10.2009
Conf. Website
By
Anna Mikolajewska, Philologische Fakultät, Nicolaus-Copernicus-Universität Toruń

Gegenstand der Konferenz war die Beleuchtung der Kontakte zwischen Kulturen im multiethnischen Preußen sowie die Förderung des Austauschs zwischen Preußenforschern verschiedener Fachrichtungen. Das Fehlen einer gemeinsamen Diskussionsplattform für Kultur-, Literatur-, Sprachwissenschaftler und Soziologen, das sich auf dem Gebiet der Forschungen über das Köngliche Preußen bemerkbar macht, erschwert eine eingehende Untersuchung dieser Region in ihrer Multidimensionalität und Vielschichtigkeit. Die in Toruń organisierte Konferenz sollte die Wissenschaftler auf diesen Mangel hinweisen und einen Versuch darstellen, ihn zu beheben.

Die Fragestellung der Konferenz fand Interesse bei polnischen, deutschen und französischen Historikern, Sprach-, Kultur-, Literatur- und Musikwissenschaftlern. Referiert und diskutiert wurde in vier Sektionen, die den Themenbereichen „Gelehrten- und Künstlerwelt“, „Preußische Identität“, „Preußen im zeitgenössischen Schrifttum“ und „Interkulturelle Begegnung“ galten.

Den Einstieg in das Thema der Konferenz machte GÜNTHER LOTTES (Potsdam), der in seinem Vortrag „Der soziale Raum des Bürgers. Stadt, Publikum und Welt im Zeitalter der Aufklärung“ auf Ähnlichkeiten und Unterschiede hinwies, die die Selbstbetrachtung des Bürgers sowohl östlich als auch westlich des Weichsel prägten. Den Teilnehmern der Konferenz wurde die Beantwortung der Frage überlassen, inwieweit die von den westeuropäischen Forschern erarbeiteten Untersuchungskategorien auch bei der Erforschung der städtischen Landschaft von Mittel- und Osteuropa eingesetzt werden können. In seinem Versuch, eine Antwort auf die von Günther Lottes gestellte Frage zu liefern, betonte Hans-Jürgen Bömelburg (Gießen) vor allem die Andersartigkeit der baltisch-preußischen Region und schlug vor, die Bevölkerungsgruppen, die in Preußen Träger der Ideologie der Aufklärung waren, sowie die Rolle der Konfession im Entstehungsprozess der Städtekultur zu berücksichtigen.

Die Vorgehensweise bei einer interdisziplinären Erforschung des Königlichen Preußens wurde auch in Bezug auf andere Vorträge diskutiert, auf die Postulate von Hans-Jürgen Bömelburg gingen andere Referenten mehrmals ein, indem sie ein allzu schnelles Zurückgreifen auf Denkweisen kritisierten, denen nur die Reflexion über Westeuropa zugrunde liegt.

Die ersten fünf Vorträge führten in das Thema der „Gelehrten- und Künstlerwelt“ ein. AGNIESZKA PUFELSKA (Potsdam) schilderte die „Danziger Naturforschende Gesellschaft als Vorbild für die Berliner Naturfreunde“ und betonte die Rolle der Wissenschaftlichen Gesellschaften als neue Kommunikationsmedien. Die Gründung naturforschender Gesellschaften wurde als ein Zeichen der Emanzipation des Bürgertums interpretiert, dessen naturwissenschaftliches Interesse von der Umsetzung republikanischer Prinzipien in der Gestaltung der Gesellschaft und engen Kontakten zu Freimaurerlogen begleitet war. Der Tätigkeit der Naturforschenden Gesellschaften setzten, laut Agnieszka Pufelska, erst Veränderungen ein Ende, die die Französische Revolution mit sich brachte: Die Verwissenschaftlichung der Forschung und Professionalisierung des Wissens an Universitäten und Museen.

BARTOSZ AWIANOWICZ (Toruń) untersuchte in seinem Vortrag die Konstitutionen und gedruckten Programme der akademischen Gymnasien in Danzig und Thorn von 1568 bis 1700, bezeichnete Thorn, Danzig und Elbing als Kulturzentren der Region und machte auf die Rolle der Bürgermeister der genannten Städte aufmerksam, die zur Verbreitung des Humanismus verhalfen. In den Konstitutionen und Schulprogrammen des 16. Jahrhunderts überwiegen, nach Awianowicz, die Funktionen movere und delectare. Zahlreiche Zitate in Latein und Griechisch, die ständige Betonung der Wichtigkeit vom Altsprachenunterricht und der Autorität der protestantischen Denker sollten die intellektuelle Basis der neuen Schulen bilden und die Rektoren und Bürgermeister als Kulturmenschen darstellen. Das die Konstitutionen und Schulprogramme später zunehmend eine informative Funktion übernahmen, ließe sich an der stärkeren Hervorhebung der docere-Funktion ablesen.

Der Städtekultur war auch der Vortrag von PIOTR KOCIUMBAS (Warszawa) gewidmet. Wertvolle Einblicke in die Welt des preußischen Bürgertums sollen, nach Kociumbas, verschiedenartige Texte liefern. So setzte sich das Danziger Bürgertum im 18. Jahrhundert in Gelegenheitskantaten mit dem Weltgeschehen auseinander, bearbeitete künstlerisch nicht nur die für die Stadt wichtigen Ereignisse, sondern auch Berichte über ferne Länder.

Eine rege Diskussion löste der Vortrag von KATARZYNA SZCZERBOWSKA-PRUSEVICIUS (Toruń) aus. Die Artikelreihe „Tagebuch des Ostindienfahrers”, die in der Thorner gelehrten Zeitschrift „Thornische Wöchentliche Nachrichten und Anzeigen“ erschien, wurde hier mithilfe der Forschungsmethoden von Elisabeth Fay und Deborah Tannen analysiert. Die Topik der Texte wurde als eine Waffe gegen die Frauen Thorns entlarvt. Laut Szczerbowska-Prusevicius dienten diese Artikel der Durchsetzung von Denkweisen, die die Frau als ein gegen die Aufklärung immunes Naturwesen schildern sollten.

Das Phänomen der Ausgrenzung von bestimmten Bevölkerungsgruppen der Stadt thematisierte auch ANNA MIKOŁAJEWSKA (Toruń). Das vierte Buch der „Preussischen Kirchen-Historia” des Thorner Gelehrten und Gymnasialprofessors Christoph Hartknoch zeigte einen tiefen Riss in der konfessionellen Identität des Stadtbürgertums. Laut Anna Mikołajewska stellte der Text einen Versuch dar, die angeblichen Feinde der Ordnung – die nichtlutherischen Einwohner – zu erkennen und anzuprangern. So sollte das vierte Buch der „Preussischen Kirchen-Historia“ eine reinigende Funktion erfüllen, indem es den internen Feind ausfindig machte und den Zusammenhalt der Stadtgemeinschaft sicherte.

Eine Einleitung in das Thema der zweiten Sektion bildete der Vortrag von DANIELLE BUSCHINGER (Amiens). Danielle Buschinger stellte die Entstehungsgeschichte der Chronik von Rheden vor dem Hintergrund des Gegensatzes zwischen der Bevölkerung Preußens und dem Deutschen Orden dar. Die Chronik wurde im Vortrag als ein Zeugnis der Suche nach einer preußischen Identität präsentiert. Diese erfolgte in Anlehnung an Ursprungsmythen und hatte zum Ziel, der von der Krone Polen betriebenen Bekämpfung des preußischen Partikularismus Widerstand zu leisten.

Mit der Problematik der Identität befasste sich auch JÖRG HACKMANN (Szczecin). In seinem Vortrag verlangte er nach einer weit gefassten Analyse der Ursprungsmythen und betonte ihre Resistenz gegenüber wissenschaftlichen Erklärungsversuchen. Laut Hackmann spielten Ursprungsmythen eine wesentliche Rolle im Prozess der Identitätsbildung des multiethnischen Polens und bleiben immer noch ein Bestandteil der wissenschaftlichen Historiographie.

Mit dem Phänomen der nationalen Zuschreibungen setzte sich HANS-JÜRGEN BÖMELBURG (Gießen) auseinander. Die Herausbildung der frühnationalen Identität resultierte, nach Hans-Jürgen Bömelburg, aus ethnischen und konfessionellen Unterschieden. Während im 16. und 17. Jahrhundert noch nicht von einer Bekenntnis des Thorner Bürgertums zur deutschen Nationalität die Rede sein kann, lassen sich durchaus Anzeichen derartiger Zuschreibungen Anfang des 18. Jahrhunderts beobachten. Der Auslöser seien der katholisch-protestantische Antagonismus und die wachsende Angst der Thorner vor dem damals bereits mit der polnischen Kultur assoziierten Katholizismus aus der Krone. Als Beispiel für eine solche Haltung wurde hier Martin Luther Geret herangeführt.

Der zweite Tag brachte eine Auseinandersetzung mit den Themen „Preußen im zeitgenössischen Schrifttum“ und „Interkulturelle Begegnung“. ANNA JUST (Warszawa) ging in ihrem Vortrag „Königlich-Preußen in deutsch- und polnischsprachigen Flugblättern und -schriften der frühen Neuzeit“ auf das Kommunikationsmedium Flugblatt ein, schilderte seine Entstehungsgeschichte und Themen, die in ausgewählten deutschen und polnischen Flugblättern des 16. und 17. Jahrhunderts behandelt wurden.

Im Anschluss daran machte PIOTR PALUCHOWSKI (Gdańsk) in seinem Vortrag die aus einer ökonomischen Krise herauskommende Stadt Danzig zum Gegenstand der Betrachtung. Eine eingehende Analyse der Danziger Presse des 18. Jahrhunderts, vor allem der „Danziger Erfahrungen“, lieferte zahlreiche Informationen über das Interesse der Bürger am Weltgeschehen und an dem Stand der Forschung sowie über Produkte und Dienstleistungen, die damals gefragt waren.

Der anschließende Vortrag von WŁODZIMIERZ ZIENTARA (Toruń) diente der Vorstellung der Bestände der Zentralen Wissenschaftlichen Einrichtung „Deutsche Presseforschung in Bremen. Zientara berichtete über seinen Forschungsaufenthalt in Bremen, die Arbeit des Zentrums sowie den Forschungsstand zur Presse des 17. und 18. Jahrhunderts. Der Vortrag war auch als Forderung nach einer interdisziplinären Untersuchung der Presse dieser Zeit mit besonderer Berücksichtigung des für die Forschung sehr interessanten multikulturellen Königlichen Preußen gedacht.

Das Wissen über Preußen im 17. und 18. Jahrhundert thematisierte in ihrem Vortrag LILIANA GÓRSKA (Toruń). Die Kosmographie des 17. und 18. Jahrhunderts wurde als eine Gattung präsentiert, die dem wachsenden Interesse des internationalen Lesers an der Welt, der Kultur und Verfassung ferner Länder entsprach. Am Beispiel deutschsprachiger Kosmographien wurde der Stand des Wissens über Preußen dargestellt. Was in den herangeführten Texten vor allem ins Auge fiel, war die immer wieder betonte Zugehörigkeit Preußens zum deutschen Kulturkreis.

Interkulturelle Begegnungen am Beispiel der Freundschaft von Ignacy Krasicki und Ernst von Lehndorff wurden zum Gegenstand des Vortrags von KATARZYNA PIPER (Bremen). In den erhaltenen Briefen und Tagebüchern der beiden sah sie eine Manifestation der Adelskultur und einer guten preußisch-polnischen Nachbarschaft in einer politisch schwierigen Zeit, die nach klaren Trennungslinien verlangte und keine nationale Labilität zuließ.

Im anschließenden, letzten Vortrag „Julius von Voss zwischen Preußen und Polen“ von IWAN D’APRILE (Potsdam) wurde die Wichtigkeit von literaturwissenschaftlichen Quellen für die Kulturgeschichte betont und komparatistische Untersuchung der Populärliteratur gefordert. Im Werk von Julius von Voss machen sich, nach D’Aprile, vor allem Kritik der politischen Situation und Umwertung der angeblich typisch preußischen Charaktereigenschaften bemerkbar. Die von D’Aprile der Populärliteratur zugeordneten Texte wurden vom internationalen Leser rezipiert. Ihre eingehende Untersuchung ließe Schlüsse über den Büchermarkt und Rezeption ähnlicher Werke schließen.

Der rege Gedankenaustausch bot einen Einblick in den Stand der Forschung und Interessen der Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen. Die Teilnehmer bemängelten vor allem das schwindende Interesse der jungen Forscher an der Geschichte des Königlichen Preußen sowie äußerten den Wunsch nach der Intensivierung der Kontakte unter den Geisteswissenschaftlern, deren Forschungsinteresse der Vergangenheit Preußens gilt. Die während der internationalen Konferenz „Interkultureller Dialog in den Städten des Königlichen Preußen“ geknüpften Kontakte werden hoffentlich in Zukunft zu einer Intensivierung der Forschung über Preußen beitragen und zum Zustandekommen einer Kommunikationsplattform verhelfen, die den Meinungsaustausch unter Forschern fördern wird.

Konferenzübersicht:

Tagungseröffnung und Grußworte

Günther Lottes (Potsdam) "Der soziale Raum des Bürgers.
Stadt, Publikum und Welt im Zeitalter der Aufklärung"

GELEHRTEN- UND KÜNSTLERWELT
Moderator: Włodzimierz Zientara

Agnieszka Pufelska (Potsdam) "Danziger Naturforschende Gesellschaft als Vorbild für die Berliner Naturfreunde"

Bartosz Awianowicz (Toruń) "Rhetorische Argumentation in den Konstitutionen und gedruckten Programmen der akademischen Gymnasien in Danzig und Thorn von 1568 bis 1700"

Piotr Kociumbas (Warszawa) "Danziger Gelegenheitskantaten des achtzehnten Jahrhunderts als Quelle zur Erforschung der bürgerlichen Kultur an der Mottlau"

Katarzyna Szczerbowska-Prusevicius (Toruń) "Die Thorner Gelehrten und ihre Furcht vor dem Frauenzimmer"

Anna Mikołajewska (Toruń) "Thorner kleine Gelehrtenwelt – Animositäten und Konflikte"

PREUSSISCHE IDENTITÄT
Moderator: Günther Lottes

Danielle Buschinger (Amiens) "Preußische (bzw. Danziger) Identität, wie sie sich in der Chronik von Rheden abzeichnet"

Jörg Hackmann (Szczecin) "Borussen, Goten und Sarmaten. Preußische Identitäten im Spiegel von Ursprungsmythen"

Hans-Jürgen Bömelburg (Gießen) "Von der konfessionellen Konfrontation zu einem Frühnationalismus? Zuschreibungen von 'deutsch' und 'polnisch' unter den Thorner Stadtbürgern im 18. Jahrhundert"

Podiumsdiskussion

PREUSSEN IM ZEITGENÖSSISCHEN SCHRIFTTUM
Moderator: Hans-Jürgen Bömelburg

Anna Just (Warszawa) "Königlich-Preußen in deutsch- und polnischsprachigen Flugblättern und -schriften der frühen Neuzeit"

Piotr Paluchowski (Gdańsk) "Regiony, języki i kultury pojawiające się na łamach czasopisma «Danziger Erfahrungen» (1739-1758)"

Włodzimierz Zientara (Toruń) "Königliches Preußen in der Bremer Pressesammlung"

Liliana Górska (Toruń) "Preußen in den Kosmographien des 17. und 18. Jahrhunderts"

INTERKULTURELLE BEGEGNUNG
Moderator: Jörg Hackmann

Katarzyna Pieper (Bremen) "Krasicki und Lehndorff – eine polnisch-preußische Adelsfreundschaft"

Iwan D’Aprile (Potsdam) "Julius von Voss zwischen Preußen und Polen"


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